Die einen schreiben eine Autobiografie wenn sie älter werden, andere beschränken sich darauf, Episoden aufleben zu lassen: Um eine Erinnerung festzuhalten, vielleicht auch, um eine Liebe zu bekennen.
Meine erste Aufgabe nach dem Studienabschluss bestand im Beschaffen eines Bestandteiles, dessen Technologie für den Motor des FIAT 500 diente. Diese wies große Ähnlichkeiten mit jener aus, die im Motor des VW Käfer installiert und in einer Fabrik in Pforzheim produziert wurde. Es war damals, als ich sie kennen lernte: Die Enkel der Fabrikgründer und damit die Söhne jener, die 30 Jahre und einen Krieg (und etwas mehr) früher meinem Vater geholfen hatten, in Italien sein Unternehmen zu starten. Unsere Fabrik wurde 1942 von den Bomben zerstört, ihre drei Tage vor Kriegsende, in einem Bombenangriff, in dem ein Drittel der Bevölkerung getötet wurde. Sicher, Parallel-Leben, gleicher Beruf, gleiche Ereignisse, spielen eine große Rolle. Doch dass einige Mitglieder dieser Familie die intimsten Freunde meines Lebens geworden sind, hängt nicht nur davon ab, dass ich deren profunde Kultur und raffinierten Geschmack schätzte. Sie bedeuteten für mich auch Ausdruck des großen Deutschen Bürgertums, das eine Diktatur und zwei Kriege überlebt hatte. Pforzheim wie Lübeck.
Eines Abends, als ich von einem meiner Freunde eingeladen war, sang die Hausherrin nach Tisch Lieder. Sie war Opernsängerin gewesen und auch wenn sie sich nicht der Stehstimme einer Schwarzkopf rühmen konnte, kann ich mich an diese zu eigen gemachten Schubert und Wolf erinnern, als wärs gestern gewesen: Sie fühlten sich wie ein Teil des eigenen Lebens an, waren in die häusliche Konversation eingeführt und hatten jene der Hausmusik eigene Intimität. Zur Leidenschaft für die romantischen Lieder kam so die Liebe für die Kultur des Deutschen Bürgertums.
Das romantische Lied ist nicht die Weiterentwicklung des Volksliedes oder der Tradition der Meistersinger: Es ist ein Musikphänomen, das sich praktisch aus dem Nichts entwickelt hat. Aus der Erkenntnis dieser Tatsache soll jede Einführung ins romantische Lied ausgehen meint Mario Bortolotto in seinem gleichnamigen Buch für Adelphi (Introduzione al Lied romantico). Ich habe es schamlos geplündert und auch ohne Anführungszeichen daraus zitiert: Akute Sätze und zündende Beobachtungen verbergen fast sicher eine Schuld bei diesem Buch. Ich begleiche sie, indem ich es zur Lektüre empfehle.
Das Lied ist romantisch, und gerade weil die Romantik eine Zäsur in der deutschen Tradition bedeutet, schuldet sie der Antike nichts außer dem Namen. Die große Explosion des Sturm und Drang sprengt die Brücken mit der Kultur des alten Deutschland. Gerade dieses Bewusstsein, neu und andersartig zu sein, diese Trunkenheit von Jugend und Nationalismus, die in der Seele des Sturm und Drängers ausgebrochen sind, lässt einerseits undenkbare musikalische Formen entstehen und andererseits Echos und Erinnerungen an vergangene Zivilisationen einführen. Die Literatur der Lieder entsteht aus dieser Situation der Zwiespältigkeit, der Distanziertheit und Anziehung, welcher die Romantik ihre Existenzberechtigung verdankt. Die Romantik wörtlich als Bestätigung von spontanen und ungebremsten Gefühlen auffassen, heisst, ihre historische Bedeutung zu übersehen. Auch Elemente aus der Volkstradition fließen ins Lied (zum Beispiel aus „Des Knaben Wunderhorn“, der Reihe der Poesien und Volkslieder, die zwischen 1805 und 1809 veröffentlicht wurden; beinahe ein Jahrhundert später vertonte Mahler 24 davon); manchmal lassen sich Einflüsse aus der „leichten“ Musik beobachten: Doch das Lied gehört gänzlich zur musica culta.
Das Lied ist eine Kammer-Komposition, generell für Solostimme und Klavier und entspricht der musikalischen Lektüre eines poetischen Textes. Mythische Charaktere aus dem Volks- und Germanentum bilden in der Regel den ursprünglichen Kern. Die Wahl der Autoren und der Texte selbst eigenen sich für eine nicht-musikwissenschaftliche Analyse des Liedes. So steht im Autorenverzeichnis der von Garzanti publizierten Textsammlung Goethe an erster Stelle. Goethe ist kein Romantiker, dem Sturm und Drang eines Goetz von Berlichingen folgte schon bald eine weitsichtigere, feierlichere und tiefere Vision. Goethe aus der Zeit der Italienreise ist im berühmten Bild von Tischbein dargestellt. Er hat die Positur eines Flussgottes inne und sitzt auf einem umgestürzten, ägyptischen Obelisk neben einem griechischen Flachrelief, altrömische Architekturen stehen in der Landschaft: Alle Überreste der Antike, auf denen sich die Weimarer Klassik errichten sollte, sind dargestellt.
Dem Romantiker Friedrich Schlegel erscheint Goethe als „der erste Künstler einer total neuen Epoche“, der erste, der sich Richtung „Vereinigung von dem, was im Wesentlichen modern, mit dem, was im Wesentlichen antik ist“ bewegt. In Deutschland pulsieren die Diskussionen über die Fundamente und Modelle einer Poesie, die den neuen Beispielen für Intuition und Sensibilität entsprechen sollte, jener Sehnsucht nach dem Unendlichen, die dem griechischen Menschen fehlte. Man stellt fest, dass es in der klassischen Kunst nicht nur die von Winckelmann beschriebene „edle Einfalt und stille Größe“ gibt; Eine ganze Weile bevor Nietzsche die Analyse zu ihrer schlussendlichen Konsequenz führt (in Die Geburt der Tragödie), ist es für Friedrich Schlegel bereits deutlich, dass neben der apollinischen Perfektion immer auch die Pulsionen des Dionysos herumgeistern.
Friedrich Schillers Essay Über naive und sentimentalische Dichtung zeichnet eine Epoche. Der naive Dichter gehorcht nur der Natur und beschränkt sich darauf, die Realität zu imitieren. Naiv waren die griechischen Poeten, die „vertraut mit der freien Natur unter ihrem glücklichen Himmel lebten“. Der sentimentalische Dichter hingegen reflektiert über den Eindruck, den die Objekte in ihm hervorrufen: „Einzig auf diese Reflektion gründet die Emotion, von der er selber überwältigt wird und die es ihm gelingt, uns mitzuteilen“. Unser Sinn für die Natur gleicht jenem eines Kranken gegenüber der Gesundheit. Der sentimentale Dichter neigt zu einem Ideal, das sich nie voll und ganz erfüllen kann, er lebt in einer unendlichen Beziehung zur Natur. Deswegen ist er ein Wanderer.
Es ist eine nicht erwiderte Liebe, jene der Musiker für den Dichter. Goethe dachte, dass einzig Mozart in der Lage wäre, Faust zu vertonen. Beethoven hatte ihm 1825 vergeblich einen Verehrungsbrief geschickt, in welchem er von „der Bewunderung, der Liebe und der Hochachtung vor der Jugend“ schreibt, sich als „ständig von einem seltsamen Wunsch getrieben, Euch alles mitzuteilen, da ich ja in Euren Schriften lebe“ erklärt. Und was Schubert betrifft, war sein Brief, mit dem er unter anderem den Erlkönig begleitete, „von ergreifender Bescheidenheit und ängstlicher Erwartung“ und von solch perfekter Ergebenheit, dass es bereits an eine Identifizierung grenzte. Doch es kam ihm nicht einmal die Ehre einer Antwort zu, es wurde gar ein unangenehmes Missverständnis wegen der Namensgleichheit mit Franz Schubert aus Dresden provoziert. Dieser erklärte sich als beleidigt. Der beste Beweis der romantischen Haltung gegenüber Goethe lässt sich beobachten, wenn Fragmente seiner Dichtung in der Musik benutzt werden. Es beruht sicherlich nicht auf einem Zufall, dass Beethoven, Schubert, Schumann und Wolf Mignon’s Lied Kennst Du das Land aus Wilhelm Meister vertont haben, und dass es Liszt für Stimme und Orchester als Vorlage diente (auch Ciaikowsky, doch das tut hier nichts zur Sache). Ein Umstand, der hier das Stichwort für eine dichte Zusammenfassung von rund einem Jahrhundert Lieder ermöglicht.
Goethe befasste sich von 1777 bis 1829, also praktisch sein ganzes Leben lang, mit Wilhelm Meister und Faust; Das Lied von Mignon findet sich in Wilhelm Meisters Lehrjahren von 1796. Mignon wird als Jugendliche in Italien von einer Gruppe Zigeuner geraubt und nach Deutschland entführt. Nach einer Serie von Missgeschicken wird sie von Wilhelm, der nun ihr Wohltäter wird, befreit. In dieser Ballade bittet ihn die von Nostalgie für Italien überwältigte Mignon, sie in ihre Heimat zurückzuführen.
Mignon ist ein delikates, beinahe androgynes Wesen und verkörpert eine Art Einsamkeit und Schmerz kosmischen Ausmaßes, sie drückt deren absolute Wahrheit und gleichzeitig deren krankhafte Störung aus. Mignon ist die Stimme der reinen Poesie, des Inbegriffes der Lyrik , unfähig zu jedem Kompromiss mit der Welt; in ihr konzentriert sich alles, was das heitere Gesetz des Lebens zerstört und dessen Akzeptanz verunmöglicht, die anarchische und abnorme Leidenschaft, die Verletzung von gesellschaftlichen und von der Natur gegebenen Tabus, Verrücktheit und Kommunikationslosigkeit. Italien, das Land der Sonne und des blauen Himmels, ist die bewegte Erinnerung an eine ideale Heimat, in die Goethe selber zurückkehrte.
Goethe schreibt (III,1):
„Sie fing jeden Vers feierlich und prächtig an, als ob sie auf etwas Sonderbares aufmerksam machen, als ob sie etwas Wichtiges vortragen wollte. Bei der dritten Zeile ward der Gesang dumpfer und düsterer; das Kennst Due es wohl? drückte sie geheimnisvoll und bedächtig aus; in dem Dahin! Dahin! lag eine unwiderstehliche Sehnsucht, und ihr lass uns ziehn! wusste sie bei jeder Wiederholung dergestalt zu modifizieren, dass es bald bittend und dringend, bald treibend und vielversprechend war.”
Wilhelm bemerkt, dass beim Niederschreiben des Liedes Originalität und „kindliche Unschuld des Ausdrucks“ unwiederbringlich verlorengehen. „So viel Lebendigkeit und Wahrheit drückte sie mit dem Lied aus, dass es schien, als hätte sie es in jenem Augenblick und bei jener Gelegenheit gedichtet“: Die Wahrheit des Herzens, die das Lied direkt ausdrückt, zeigt einen erstaunlich romantischen Zug von Goethe. Es erinnert in drei Strophen an das Land, das Haus, den Berg; Die Aufforderung Dahin! Dahin! ist zuerst an den Geliebten gerichtet, dann an den Verteidiger und schließlich an den Vater.
Beethoven vertont das Lied von Mignon, indem er sich streng an die Regeln des Strophen-Liedes hält, mit sehr geringen Variationen zwischen den einzelnen Strophen und jede in zwei Teile unterteilt. Der zweite Teil ist jeweils triolisch, im Vergleich zum ersten beschleunigt, ein kurzes Klavier-Solo führt das Kennst Du es wohl?, die Dahin werden zuerst in aufsteigender Bewegung wiederholt, dann werden sie trauriger.
1815 schrieb Schubert 150 Lieder, 30 davon mit Texten von Goethe, darunter Kennst Du das Land. Formal werden die Texte sehr ähnlich behandelt: Die vier ersten Verse in zwei Teile unterteilt, der zweite Teil schneller. Die Terzinen, die bei Beethoven der linken Hand zugeteilt sind, gehen hier zur Rechten und beginnen für beide bei ein sanfter Wind und enden hier bei Dahin! Eine Passage für Klaviersolo zur Einführung von Kennst Du es wohl? Doch die Wirkung ist ganz verschieden. Schubert bricht mit der rigiden Wiederholung von Beethoven, die dritte Strophe wird in Moll verwandelt. Und mit dem Dahin!„rückt das Klavier ungehindert voran, eine unwiderstehliche Flut“, und wenn es zu Ende erscheint, geht es wieder „mit beinahe rasender und destruktiver Nostalgie los“ im aufsteigenden ff.
Das Opus 98 von Schumann ist 34 Jahre später entstanden. Beinahe vergessen die Zeit, in der das „Land wo die Zitronen blühen“ zu kennen war, als die Natur noch jene von Tischbein war, mit den Spuren der Klassik bevölkert, die der Dichter, im arkadischen Kostüm, ruhig beherrscht. Jetzt ist der Berg in seinem Wolkensteg, die grenzenlose Natur der sentimentalen Poesie, jene von Caspar David Friedrich im Mönch am Meer der Nationalgalerie Berlin.
Während es ungewiss bleibt, ob Schubert das Lied von Beethoven gehört hat, ist es mit Schumann bereits ein „dichten über die Dichtung“: Die Strophe wird nicht mehr zweigeteilt durch die Brücke des Klaviersolo, sondern sie ist ein Ganzes, das Kennst Du es wohl wird zweimal, in steigender Erregung gegen das Dahin, wiederholt, um dann in Resignation zusammenzufallen. Wenn das Lied von Schubert ein crescendo war, so schlägt jenes von Schumann wieder das Thema der Romantik vor, den Fluchtversuch zu einem Höhepunkt, dazu verurteilt, in finalen Katastrophen zu verfallen. Schuberts Mignon kann sich über die Rückkehr etwas vormachen, das Lied von Schumann ist jedoch ohne Sonne. Der undurchsichtige Zustand kann nur im Tod enden: Das Prinzip, das unser Leben romantisch macht, hatte Novalis gesagt. Goethe hat die Frage des Anfangs als geräuschvoll und festlich verstanden, Schubert hat die Intensität abgedämpft, Schumann hat sie in hoffnungsloser Langeweile erstickt. Als einziger Ausweg bleibt die Befreiung im Nicht-Sein.
Wolf nimmt den Text im Jahr 1890 wieder auf. Schopenhauer und Nietzsche haben die letzten Möglichkeiten einer Illusion, diese immer wieder aufkommenden Aussichten auf eine Rettung, entlarvt. Der Höhepunkt jeder Strophe sind die „abschließenden Bitten , aufgelöst in Hilferufe und beinahe in einem Urschrei endend, das Kennst Du es wohl fast flehend wiederholt, ruhiger, zuvorgekommen vom belebt des Klaviers, das zweite Mal mit abfallenden chromatischen Oktaven, über die mit der linken Hand angeschlagenen Terzinen. Die Schrift zieht alle Schattierungen aus dem Text heraus, alle Unterschiede des Textes in der Symmetrie der Strophen. Zum Beispiel in der Ausführung der Fragen:
Von Liszt Version für Stimme und Orchester reicht es, ein paar Anschläge zu hören, um sich bewusst zu werden, dass wir uns in einer ganz und gar verschiedenen Welt befinden: In jener der Opern Und zwar nicht in einer besonders inspirierten. Bürgerliche Intimität, der kostbarste Zug des Liedes, verliert sich hier in bürgerlicher Vulgarität, wo die Innerlichkeit des romantischen Gefühls mit Boudoir Sensibilität verwechselt wird.“¹² Die Worte stammen von Goethe und es ist nicht eine Frage von Klavier oder Orchester als Begleitung: Mahler zum Beispiel hat für Stimme und Orchester einige der schönsten romantischen Lieder geschrieben.
Die Beziehung Musik – Poesie ist nicht nur jene zwischen den Musikern und den von ihnen ausgewählten Poesien, sondern auch diejenige zwischen den Dichtern und der Musik, die für ihre Verse geschrieben wurde. Es gab jedoch auch Fälle wie Brahms, der eine gewisse Gleichgültigkeit an den Tag legte und unbekannte Dichter bevorzugte. Zur Zeit des Biedermeier haben sich viele Spannungen gemildert, die guten Deutschen in ihren altmodischen (zurückgebliebenen) Kleinstaaten waren in jeder Hinsicht friedfertig. Erst später änderten sich die Dinge.
Oft lässt sich eine Verspätung im musikalischen Geschmack gerade bei jenen Poeten beobachten, die zu dessen Herausbildung beigetragen haben. Schubert und Goethes Erlkönig wurde bereits erwähnt, mit Schumanns Liederkreis op. 24 und Heine ging es nicht besser.
Weiter kennt das Lied eine expressionistische Entwicklung mit Schönberg, Berg und Webern; und es gibt eine extreme romantische Äußerung. Wie zum Beispiel, eine unter vielen, jenen von Richard Strauss für Orchester musizierten Text von Joseph Eichendorff aus dem Jahr 1841. Thema ist das Wandern, das romantischste aller Themen. Hier herrscht jedoch nicht mehr Enthusiasmus wie bei Schuberts des Müllers Lust. Hier ist es Abend geworden, das Paar ist wandermüde: ist dies etwa der Tod?
Das Manuskript der Vier Letzte Lieder trägt den Hinweis „Montreux 9. Juni 1948“: Ein Jahrhundert nach dem Entstehen des Textes von Eichendorff (1841), wenige Jahre vor meinen Lehrjahren in Pforzheim. Das Lied ist eine zentrale Musik Art der Romantik, ohne das Lied gäbe es die Romantik nicht. Kann man behaupten, dass es ohne Romantik die moderne Deutsche Kultur nicht gäbe? Ich glaube, es ist nicht ein übertriebener Gedanke, wenn ich an die Kultur des Deutschen Bürgertums denke, die ich im Haus meiner Freunde vorfand; noch weniger, wenn ich an das kulturelle Umfeld denke, in dem Thomas Mann gelebt und das er beschrieben hat. Kann folglich die Romantik als die grundlegende Identität des modernen Deutschland bezeichnet werden? Der Schiller, der mit seiner Abhandlung „Über naive und sentimentalische Dichtung“ die Grundsätze der Romantik setzt, ist derselbe, der 1789 in Jena im Vortrag „Sparta und Athen“ leidenschaftlich die Merkmale einer liberalen, für Veränderungen und Kreativität offene Gesellschaft entwirft. Denn „wenn ein Staat die Entfaltung der Kapazitäten, die sich in jedem Menschen befinden, behindert und wenn er sich in die Fortentwicklung des Geistes einmischt, dann ist er zu verurteilen“. Die Elemente der Reaktion auf die französische Aufklärung, die in der Romantik von Beginn an vorhanden waren, werden in den Betrachtungen eines Unpolitischen verewigt, und zwar dort, wo Mann den Radikalismus dem Ideal klassischer und konservativer Prägung der Kultur deutscher Tradition gegenüberstellt. Radikalismus versteht sich hier als typisch französische und westlich intellektualistische Übung. Das war ums Jahr 1915 herum, doch es sind Themen, die auch heute, nach 100 Jahren, noch in Bewegung sind.
Wie ich schon andeutete, ist das für mich auch die Gelegenheit für eine Liebeserklärung. Ich mache sie mit den Worten, mit welchen Tonio Kröger (schon wieder Thomas Mann!) sich von seiner Freundin verabschiedet hat.
„Schelten Sie diese Liebe nicht, Lisaweta; sie ist gut und fruchtbar. Sehnsucht ist darin und schwermütiger Neid und ein klein wenig Verachtung und eine ganze keusche Seligkeit“.
Tonio Kröger saß im Süden, Italien ist nicht das Land, wohin man Mignon folgend hingeht. – Dahin! Dahin!. Es ist das Land, aus welchem man der geordneten Welt der Blonden, der Blauäugigen zuschaut. Jener bürgerlichen Welt. Die bürgerliche Welt.
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ottobre 29, 2013