„Ruft sich Italien den Ärger in Haus?“, fragt verwundert der italienische Wirtschaftsprofessor Lorenzo Codogno, der an der London School of Economics lehrt. Tatsächlich spricht Italiens Vizepremier und Lega-Chef Matteo Salvini in seinen jüngsten Interviews auch immer über eine bevorstehende Finanzkrise für Italien, angeblich inszeniert von dunklen Kräften, die Italiens Regierung stürzen wollten. „Die Generalprobe für eine wirtschaftliche Attacke hat schon begonnen“, sagte Salvini gerade dem „Corriere della Sera“. Der Florentiner Zeitung „La Nazione“ sagte Salvini: „Sie werden auf jegliche Weise versuchen, das italienische Experiment zu ersticken, mit den Staatsschulden, dem Spread, der Abwertung durch Ratingagenturen, Abmahnungen und Strafen.“
Salvinis Stellvertreter, Giancarlo Giorgetti, bisher ein eher verschwiegener Ökonom und früherer Vorsitzender des Haushaltsausschusses im Parlament, eröffnete schon Mitte August den Reigen der Ankündigungen im legatreuen Populistenblatt „Libero“: „Ich erwarte eine Attacke, die Märkte sind voller spekulativer Fonds, die sich ihre Beute aussuchen und dann zuschlagen.“
Nur ein Stimmungstest für die Märkte?
Über die Motive dieser Aussage sind sich selbst erfahrene italienische Analysten und Beobachter der Szene nicht klar. Von zehn Befragten kommen zehn Antworten, die meisten wollen namentlich nicht genannt werden. Einig sind sich alle nur darüber, dass üblicherweise Finanzminister und Regierung die Märkte beruhigen, vor allem wenn sie wie in Italien noch in diesem Jahr 47,9 Milliarden Euro an kurzlaufenden und 65,7 Milliarden Euro an mehrjährigen Staatstiteln ablösen müssen. Zudem haben internationale Anleger gerade im Mai und Juni italienische Staatstitel für 72 Milliarden Euro verkauft, und im September stehen Auseinandersetzungen über große Ausgabenwünsche der neuen Regierungsparteien bevor.
Der in London ansässige Ökonom Lorenzo Codogno bringt drei mögliche Gründe ins Spiel: Giorgetti und nun auch Salvini wollten die Stimmung an den Märkten testen, um herauszufinden, wie weit die Regierung ihre Pläne eines expansiven Haushalts treiben könne. Ebenso würden auf diese Weise Brüssel und die Regierungen der anderen europäischen Länder getestet, meint Codogno. Schließlich habe Giorgetti indirekt auch die Parteigenossen zu Vernunft angehalten. Umgekehrt vermutet aber ein bekannter italienischer Wirtschaftskommentator, dass die Lega mit diesen Äußerungen den unparteiischen und eher vorsichtigen Schatzminister Giovanni Tria dazu antreiben will, im Haushalt für 2019 ein Defizit von deutlich mehr als 3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts zuzulassen.
„Eine Strategie des Beruhigens hilft wohl ohnehin nur, wenn sie von der EZB kommt, aber nicht, wenn sie von der italienischen Regierung verfolgt wird“, sagt ein Anlagestratege aus Mailand. „Dahinter steckt wohl die Taktik mit dem guten und dem bösen Polizisten, oder man will wie Trump die Erwartungen zunichtemachen.“ Ein italienischer Wirtschaftsanalyst und Kommentator meint, es gehe darum, sich die Unterstützung der Bevölkerung zu sichern, „im ewigen Kampf zwischen uns und denen“. Vielleicht meine aber mancher, dass die europäischen Institutionen Angst bekämen, Italien mehr Spielraum zugestehen würden oder später zu Hilfe kämen.
„Eine typisch italienische Erklärung wäre: Man warnt vor, damit man später entweder sagen kann, man habe es vorausgesehen, oder aber auch, man habe erfolgreich die Krise vermieden“, sagt ein in Jahrzehnten erfahrener italienischer Wirtschaftsjournalist. Der fügt jedoch besorgt hinzu: „Es gibt eine Reihe von Leuten in dieser Regierung, die wirklich eine Krise wollen. Salvini hat sich dazu noch nicht festgelegt.“ In der Lega denke man, das könne nutzen und womöglich zu Neuwahlen mit extremen Positionen führen.
„Der Teil im Regierungslager, der einen Komplott sieht, will die Wähler vorbereiten“, sagt ein politischer Kommentator aus Rom. „Man will eine nationalistische Antwort erreichen, mit dem von dunklen Kräften verletzten Nationalstolz. Das soll helfen, im Krisenfall nicht an Konsens zu verlieren.“ Eine politische Antwort kommt dagegen vom ehemaligen liberalen Senator Franco Debenedetti: „So benehmen sich alle Populisten von Erdogan bis Maduro, sie wenden sich an ihre Wähler und denken nicht an die Finanzmärkte.“
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agosto 27, 2018